Der Deutsche Bundestag hat am 05.07.2007 das Gesetz zur Reform des Versicherungsver-tragsrechts verabschiedet. Dieses Gesetz hat insbesondere eine umfassende Reform des aus dem Jahre 1908 stammenden Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) zum Gegenstand. Das Reformgesetz wird voraussichtlich zum 01.01.2008 in Kraft treten. Zuvor muss es noch dem Bundesrat zugeleitet werden. Es handelt sich jedoch nicht um ein der Zustimmung des Bundesrates unterliegendes Gesetz. Dem Bundesrat steht lediglich ein Einspruch gegen das Gesetz zu, welcher jedoch durch Beschluss im Bundestag zurückgewiesen werden kann.
Die wichtigsten Änderungen sind folgende:
Beratungs- und Dokumentationspflicht
In §§ 6 und 7 VVG n. F. hat der Gesetzgeber nun Beratungs- und Informationspflichten des Versicherers niedergelegt. Bereits zum 22.05.2007 waren entsprechende Verpflichtungen mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts für die Versicherungsvermittler unter Umsetzung der Versicherungsvermittlerrichtlinie geschaffen worden. Diese sind bislang in §§ 42 a bis k VVG geregelt und finden sich mit Inkrafttreten der neuen Regelungen zukünftig in den §§ 59 bis 68 VVG n. F. wieder. Nunmehr unterwirft der Gesetzgeber folgerichtig auch die Versicherer derartigen Beratungs- und Informationspflich-ten. Der Versicherer hat – wie auch der Versicherungsvermittler – anlassbezogen zu beraten und die Beratung zu dokumentieren. Besonders hervorgehoben werden Gesetzgeber nach § 6 Abs. 2 VVG n. F., dass der Versicherer den erteilten Rat und die Gründe hierfür klar und verständlich in Textform sowie vor Abschluss des Vertrages übermitteln muß. Im Unter-schied zu den Pflichten der Versicherungsvermittler sieht der Gesetzgeber in § 6 Abs. 4 VVG n. F. vor, dass die Beratungsverpflichtung auch nach Vertragsschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses besteht, soweit hierfür ein Anlass erkennbar ist.
Informationspflicht / Abschaffung des „Policenmodells“
Nach § 7 VVG n. F. hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer vor Abgabe von dessen Vertragserklärungen, die Vertragsbestimmungen sowie die Allgemeinen Versicherungsbe-dingungen sowie weitere Informationen in Textform mitzuteilen. Gem. § 7 Abs. 2 VVG n. F. besteht nunmehr eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der zukünftigen VVG-Informationsverordnung (VVG-InfoV), welche weitere Einzelheiten der Vorabinformati-onen regelt. Damit wird das früher verbreitete so genannte Policenmodel aus § 5 a VVG a. F. abgeschafft. Danach galt in dem Fall, in welchem der Versicherungsnehmer bei Antrag-stellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben hatte, der Vertrag gleichwohl auf Grundlage des Versicherungsscheins der Versicherungsbedingungen der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen, wenn der Versi-cherungsnehmer nicht innerhalb von 14 Tagen nach Überlassung der Unterlagen in Textform widersprochen hatte.
Widerrufsrecht
Gemäß § 8 VVG n. F. ist nunmehr das Widerrufsrechts des Versicherungsnehmers einheit-lich ausgestaltet worden. Nunmehr gilt gem. § 8 VVG n. F. ein 2-wöchiges Widerrufsrecht. Gemäß § 152 VVG n. F. beträgt die Widerrufsfrist abweichend von § 8 Abs. 1 Satz 2 VVG n. F. bei Lebensversicherungen 30 Tage. Die Widerrufsfrist beginnt erst dann, wenn dem Ver-sicherungsnehmer der Versicherungsschein, die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die nach der VVG-Informationsverordnung vorgesehenen weiteren Informationen zugegangen sind. Auch muss zuvor eine Widerrufsbe-lehrung erfolgt sein.
Das Widerrufsrecht besteht nicht bei Versicherungsverträgen mit einer Laufzeit von weniger als 1 Monat, bei Versicherungsverträgen über vorläufige Deckung, es sei denn, es handelt sich um einen Fernabsatzvertrag in Sinne des § 312 Abs. 1 und 2 BGB, bei Versicherungs-verträgen bei Pensionskassen, die auf arbeitsvertraglichen Regelungen beruhen, es sei denn, es handelt um einen Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312 b Abs. 1 und 2 BGB sowie bei Versicherungsverträgen über Großrisiken und im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zum VVG. Ferner ist das Widerrufsrecht ausgeschlossen bei Versiche-rungsverträgen, die von beiden Vertragsparteien auf ausdrücklichen Wunsch des Versiche-rungsnehmers vollständig erfüllt sind, bevor der Versicherungsnehmer sein Widerrufsrecht ausgeübt hat.
In § 9 VVG n. F. sind die Rechtsfolgen des Widerrufs geregelt. Danach hat der Versicherer bei Ausübung des Widerrufsrechts nach § 8 Abs. 1 VVG n. F. durch den Versicherungsneh-mer nur den auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der Prämien zu erstat-ten, wenn der Versicherungsnehmer in der Widerrufsbelehrung auf sein Widerrufsrecht, die Rechtsfolgen des Widerrufs und den zu zahlenden Betrag hingewiesen worden ist und zuge-stimmt hat, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt. Ist der vorge-nannte Hinweis unterblieben, hat der Versicherer zusätzlich die für das 1. Jahr des Versiche-rungsschutzes gezahlten Prämien zu erstatten, es sei denn, der Versicherungsnehmer hat Leistungen aus dem Versicherungsvertrag in Anspruch genommen.
Änderung der vorvertraglichen Anzeigepflichten
Neu geregelt wurden zudem in § 19 VVG n. F. die vorvertraglichen Anzeigepflichten. Nach § 19 VVG n. F. hat der Versicherungsnehmer bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen. Der Versicherungsnehmer hat also grundsätzlich nunmehr nur solche Umstände anzuzeigen, nach denen Versicherer in Text-form gefragt hat. Damit liegt das Risiko einer Fehleinschätzung über die Erheblichkeit eines Umstandes für das versicherte Risiko nicht mehr beim Versicherungsnehmer, sondern beim Versicherer.
Kein Deckungsausschluss bei „eigenmächtigem“ Anerkenntnis
Eine weitere Neuerung ist in § 105 VVG n. F. geregelt. Danach ist eine Vereinbarung, nach welcher der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet ist, wenn ohne seine Einwilligung der Versicherungsnehmer den Dritten befriedigt oder dessen Anspruch anerkennt, unwirksam. Damit ist den bislang üblichen Regelungen für den Fall des Anerkenntnisses durch den Ver-sicherungsnehmer ohne Einwilligung des Versicherers der Boden entzogen.
Einführung eines allgemeinen Direktanspruchs
Eine Neuerung befindet sich im Bereich der Pflichtversicherung. In § 115 VVG n. F. wird ein Direktanspruch des geschädigten Dritten gegen den Versicherer eingeführt. Danach kann der geschädigte Dritte seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versiche-rer geltend machen, wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt oder wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröff-nungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist, oder wenn der Aufenthalt des Versicherungsnehmers unbekannt ist. Demnach können zukünftig beispielsweise geschädigte Mandanten oder Kunden von Rechtsanwälten oder Architekten bzw. anderen Berufsständen, welche zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung verpflichtet sind, direkt gegen den Versicherer vorgehen, wenn über das Vermögen des Berufsträgers das Insolvenzverfahren eröffnet ist bzw. der Aufent-halt des Berufsträgers unbekannt ist. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass nach der Novellierung der Bundesrechtsanwaltsordnung die Rechtsanwaltskammern zukünftig gem. § 51 Abs. 6 Satz 2 BRAO befugt sind, Dritten zur Geltendmachung von Schadenser-satzansprüchen Auskunft über die Namen, die Adresse sowie die Versicherungsnummer der Berufshaftpflichtversicherung des Anwalts zu erteilen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Anwalt kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Nichterteilung der Auskunft hat. Bislang waren die Rechtsanwaltskammern mangels gesetzlicher Grundlage und auf Grund der Verschwiegenheitspflicht des § 76 BRAO generell gehindert, Angaben zur Berufshaft-pflichtversicherung eines Anwaltes zu machen.
Abschaffung der Klageausschlussfrist aus § 12 Abs. 3 VVG a. F.
Eine wesentliche Neuerung ist die Abschaffung der bisherigen Klageausschlussfrist von 6 Monaten nach der bisherigen Fassung von § 12 Abs. 3 VVG a. F. Im Übrigen gilt für den Leistungsanspruch gegen den Versicherer die regelmäßige Verjährungsfrist.
Lebensversicherung
In der Kapitallebensversicherung ergeben sich folgende Änderungen:
Anspruch auf Überschussbeteiligung Gemäß § 153 VVG n. F. steht dem Versicherungsnehmern nunmehr eine Beteiligung an dem Überschuss und an den Bewertungsreserven (Überschussbeteiligung) zu, es sei denn, die Überschussbeteiligung ist durch ausdrückliche Vereinbarung ausgeschlossen. Damit wird der Anspruch auf Überschussbeteiligung nunmehr gesetzlich als Regelfall begründet. Der Gesetzgeber folgt damit der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil zur Überschussbeteiligung vom 26.07.2005. Danach soll der Versicherungsnehmer angemessen auch an den noch nicht realisierten Gewinnen beteiligt werden, soweit sie durch seine Bei-träge erzielt worden sind. Weiter müssen Versicherungsunternehmen ihre Stellenreserven offen legen und den Versicherungsnehmer jährlich über den auf ihn entfallenen Teil unter-richten (§ 155 VVG n. F.).
Berechnung des Rückkaufswertes Weitere wesentliche Neuerungen erfolgten hinsichtlich der Berechnung der Rückkaufswerte. Nach § 169 VVG n. F. hat der Versicherer nunmehr den Rückkaufswert im Falle der Kündi-gung des Versicherungsnehmers oder bei Rücktritt oder Anfechtung des Versicherers zu zahlen. Der Rückkaufswert berechnet sich nach dem Deckungskapital der Versicherung. Nicht mehr wird also nunmehr auf den unklaren Begriff des Zeitwertes der Versicherung ab-gestellt. Im Falle eines Frühstornos werden die Abschlusskosten der Lebensversicherung bei der Kündigung auf die ersten 5 Vertragsjahre verteilt. Demnach dürfen nicht mehr wie bisher die Prämien zunächst in den ersten zwei Jahren mit den Abschlusskosten des Vertrages verrechnet werden, so dass bei einer Kündigung innerhalb dieses Zeitraums der Rückkaufs-wert gleich Null war.
Aufgabe des „Alles oder Nichts-Prinzips“
Zu dem wird das bislang geltende „Alles oder Nichts-Prinzip“ aufgegeben. Dies bedeutet, dass sowohl bei Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten als auch im Falle der Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer eine Rücktrittsmög-lichkeit bzw. ein Deckungsausschluss nur bei vorsätzlichem Verhalten, also bei vorsätzlicher Nichterfüllung der Anzeigeverpflichtung und bei vorsätzlicher Herbeiführung des Versiche-rungsfalls bestehen. Bislang hatte der Versicherte keine Ansprüche gegen den Versicherer, wenn er den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hatte. Umge-kehrt hatte er einen Anspruch auf volle Entschädigung, wenn ihn lediglich einfache Fahrläs-sigkeit traf. Es galt das Prinzip „Alles oder Nichts“. Nach der zukünftigen Regelung in §§ 81, 82 VVG n. F. bleibt es bei vorsätzlichen Verstößen des Versicherungsnehmers dabei, dass das Versicherungsunternehmen nicht zur Leistung verpflichtet ist. Einfache fahrlässige Ver-stöße des Versicherungsnehmers schließen weiterhin dessen Entschädigungsanspruch nicht aus. Grob fahrlässige Verstöße des Versicherungsnehmers gegen Obliegenheiten können entsprechend der Schwere des Verschuldens zu einer Leistungskürzung führen. Die Leis-tung kann auf Grund eines grob fahrlässigen Verstoßes des Versicherungsnehmers jedoch nicht mehr vollständig ausgeschlossen werden.
Inkrafttreten
Das Gesetz wird am 01.01.2008 in Kraft treten und für alle nach diesem Zeitpunkt geschlos-senen Verträge gelten. Auf laufende Verträge (Verträge dies bis zum 31.12.2007 abge-schlossen werden sowie Altverträge) findet bis zum 31.12.2008 das alte VVG Anwendung. Nach diesem Zeitpunkt gilt auch für diese Altverträge bzw. die im Jahre 2007 abgeschlosse-nen Verträge das neue Recht. Die Regelung hinsichtlich der Überschussbeteiligungen in der Lebensversicherung nach § 153 VVG n. F. gilt auch für Altverträge schon ab dem 01.01.2008. Die Neuregelung der Berechnung der Rückkaufswerte gilt nur für Neuverträge, die nach dem 01.01.2008 geschlossen worden sind.