Der Bundestag hat am 16.6.2005 das „Gesetz zur Einführung eines Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG)“ beschlossen, das wesentliche Neuerungen für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation vorsieht.
Aktuell
Mit dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) soll ein Verfahren zur Durchführung von Musterprozessen eingeführt werden.
Hintergrund
Falsche Darstellungen gegenüber dem Kapitalmarkt, wie z.B. unrichtige Ad-hoc-Meldungen über Gewinnerwartungen oder unrichtige Börsenprospekte, verursachen Streuschäden mit einer großen Zahl von geschädigten Anlegern. Auch wenn der durch die fehlerhafte Information entstandene Gesamtschaden durchaus im Millionenbereich liegen kann, ist der Schaden des einzelnen Anlegers häufig vergleichsweise gering. Eine gerichtliche Geltendmachung des Schadens steht darum gerade für Privatanleger häufig in keinem Verhältnis zu dem damit verbundenen wirtschaftlichen Aufwand (Anwaltskosten, Kosten für Sachverständigengutachten etc.). Das führte dazu, dass viele geschädigte Anleger sich bisher von einer Klage abhalten ließen. Die Zivilprozessordnung bietet keine geeigneten Möglichkeiten, in derartigen Fällen gleichgerichtete Gläubigerinteressen kollektiv geltend zu machen. Kerngedanke des KapMuG ist es nun, dass vor dem Oberlandesgericht ein Musterverfahren geführt wird, in dem die zentralen tatsächlichen und rechtlichen Fragen der gleichgerichteten Klagen mit Bindungswirkung für alle anhängigen Prozesse entschieden werden. Hierdurch soll das Prozesskostenrisiko für den einzelnen geschädigten Anleger begrenzt werden. Gleichzeitig werden die Gerichte entlastet, die sich in Folgeprozessen auf das Ergebnis des Musterverfahrens stützen können. Das beklagte Unternehmen wiederum kann seine Bemühungen zur Abwehr der Klagen ebenfalls im Musterverfahren bündeln.
Die wesentlichen Neuerungen im Überblick:
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- Einführung eines „Musterverfahrens“ gemäß dem neuen Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG)
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- Anwendungsbereich: zivilisatorische Klagen auf der Grundlage öffentlicher Kapitalmarktinformationen (Begriffsdefinition in § 1 KapMuG)
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- Jede Prozesspartei kann einen Antrag auf Musterfeststellung vor dem OLG stellen.
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- Der zulässige Antrag auf Musterfeststellung wird im Klageregister des elektronischen Bundesanzeigers bekannt gemacht
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- Das Oberlandesgericht führt einen „Musterentscheid“ herbei, wenn innerhalb von vier Monaten nach der Bekanntmachung in mindestens neun weiteren Verfahren gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge in das Klageregister eingetragen werden.
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- Während der Dauer des Musterverfahrens setzen die erstinstanzlichen Gerichte Verfahren aus, deren Entscheidung durch das Musterverfahren berührt wird.
- Der Musterentscheid des OLG bindet die Prozessgerichte bzgl. Verfahren, deren Entscheidung von der im Musterverfahren getroffenen Feststellung oder der im Musterverfahren zu klärenden Rechtsfrage abhängt.
- Das KapMuG führt zu Änderungen in zahlreichen weiteren Gesetzen wie BörsenG, VerkProspG, RVG und GVG. Hervorzuheben ist die Einführung eines ausschließlichen Gerichtsstands für Klagen wegen falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen am Sitz des Emittenten bzw. der Zielgesellschaft in der ZPO. Dies soll nur dann nicht gelten, wenn sich der Sitz des Unternehmens nicht in Deutschland befindet.
Kommentar
Ein institutionalisiertes Musterverfahren stellt eine Novation für das deutsche Zivilprozessrecht dar. Die mehreren tausend Verfahren, die derzeit vor dem LG Franfurt a.M. gegen die Deutsche Telekom AG anhängig sind, führen die Notwendigkeit eines Instruments zur Konzentration von Massenverfahren plastisch vor Augen. Mit dem KapMuG hat sich der deutsche Gesetzgeber bewusst gegen die Einführung von Sammelklagen, wie sie aus den USA bekannt sind, entschieden. Bewährt sich das KapMuG in der Praxis, ist eine Ausdehnung des Musterverfahrens auf alle zivilisatorischen Massenverfahren vorstellbar.