EuGH zu den Widerrufsfolgen des Beitritts zu Immobilienfonds-GbR

2019-03-12T13:27:10+00:0015. April 2010|

Die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ist auf einen Vertrag über den Beitritt eines Verbrauchers zu einem geschlossenen Immobilienfonds in Form einer Personengesellschaft anwendbar, wenn der Zweck eines solchen Beitritts vorrangig nicht darin besteht, Mitglied dieser Gesellschaft zu werden, sondern Kapital anzulegen. Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 85/577 steht einer nationalen Regel nicht entgegen, wonach im Falle des Widerrufs eines in einer Haustürsituation erklärten Beitritts zu einem geschlossenen Immobilienfonds in Form einer Personengesellschaft der Verbraucher gegen diese Gesellschaft einen Anspruch auf sein Auseinandersetzungsguthaben geltend machen kann, der nach dem Wert seines Anteils im Zeitpunkt des Ausscheidens aus diesem Fonds berechnet wird, und dass er dementsprechend möglicherweise weniger als den Wert seiner Einlage zurückerhält oder sich an den Verlusten des Fonds beteiligen muss.

Ausgangsverfahren

Nach einem Hausbesuch eines Vertreters der RS GmbH trat der Beklagte 1991 gegen Leistung einer Kapitaleinlage von 384.044 DM als Investor-Gesellschafter einem geschlossenen Immobilienfonds bei. Dieser aus 46 Gesellschaftern bestehende Fonds in Form einer Personengesellschaft des bürgerlichen Rechts hatte die Instandsetzung, Modernisierung und Verwaltung eines in Berlin gelegenen Grundstücks zum Ziel. Zur Zeit des Beitritts wurde dieser Fonds von der RS GmbH verwaltet. 2002 kündigte der Beklagte seine Mitgliedschaft in der betreffenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts fristlos und widerrief gemäß § 3 HWiG seinen Beitritt zu ihr. Die EF GmbH forderte von dem Beklagten in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin des Immobilienfonds die Zahlung eines Betrags von 16 319 Euro als negatives Auseinandersetzungsguthaben; dabei handelt es sich um die Differenz zwischen dem Wert der von dem Beklagten zum Zeitpunkt seines Beitritts zu der fraglichen Gesellschaft erbrachten Einlage und seinem Anteil an den bis zum Widerruf dieses Beitritts entstandenen Verlusten des Immobilienfonds.

Das erstinstanzliche Landgericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht wies die Klage auf die Berufung des Beklagten hin ab und führte aus, dass die Ausübung des einem Gesellschafter zuerkannten Widerrufsrechts nicht dazu führen dürfe, dass ihn eine Zahlungspflicht gegenüber der betroffenen Gesellschaft treffe. Andernfalls läge ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Richtlinie vor, nach denen den Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts keine Verpflichtungen aus dem widerrufenen Vertrag mehr treffen dürften und empfangene Leistungen an ihn zurückzugewähren seien. Die EF GmbH legte gegen diese Entscheidung Revision zum Bundesgerichtshof ein. In seiner Vorlageentscheidung führt dieses Gericht aus, wenn ein Gesellschafter, der aufgrund eines Haustürgeschäfts einer Gesellschaft beigetreten sei, seinen Beitritt zu einem Immobilienfonds widerrufe, führe dieser Widerruf nach der nationalen Rechtsprechung nicht dazu, dass er in vollem Umfang von allen vertraglichen Verpflichtungen befreit werde (Wirkung ex tunc), sondern dazu, dass er an die eingegangenen Verpflichtungen bis zur Erklärung des Widerrufs gebunden bleibe (Wirkung ex nunc). Nach dieser Rechtsprechung führe die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher nicht zu einer „Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands“, wie es Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie in der Auslegung durch den Gerichtshof (vgl. insbesondere Urteil vom 25. Oktober 2005, Schulte, C 350/03, Slg. 2005, I 9215, Randnrn. 88 und 92) verlange.

Die Vorlagefragen des Bundesgerichtshofes

Der Bundesgerichtshof ist der Ansicht, dass die Entscheidung von der Auslegung des Art. 1 Abs. 1 und des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie abhänge, und hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist die Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie dahin auszulegen, dass davon der Beitritt eines Verbrauchers zu einer Personen-, einer Personenhandelsgesellschaft, einem Verein oder einer Genossenschaft umfasst ist, wenn der Zweck des Beitritts vorrangig nicht darin besteht, Mitglied der Gesellschaft, des Vereins oder der Genossenschaft zu werden, sondern – was vor allem bei der Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds häufig zutrifft – die mitgliedschaftliche Beteiligung nur ein anderer Weg der Kapitalanlage oder der Erlangung von Leistungen ist, die typischerweise Gegenstand von Austauschverträgen sind?

2. Ist die Bestimmung des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie dahin auszulegen, dass sie einer nationalen (richterrechtlichen) Rechtsfolge im Sinne des Art. 7 der Richtlinie entgegensteht, die besagt, dass ein solcher in einer Haustürsituation erklärter Beitritt eines Verbrauchers im Falle des Widerrufs des Beitritts dazu führt, dass der widerrufende Verbraucher einen auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerrufs berechneten Anspruch gegen die Gesellschaft, den Verein oder die Genossenschaft auf sein Auseinandersetzungsguthaben, d. h. einen dem Wert seines Gesellschafts-, Vereins- oder Genossenschaftsanteils im Zeitpunkt des Ausscheidens entsprechenden Betrag, erhält, mit der (möglichen) Folge, dass er wegen der wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft, des Vereins oder der Genossenschaft entweder weniger als den Wert seiner Einlage zurückerhält oder sich ihnen gegenüber sogar noch über den Verlust der geleisteten Einlage hinausgehenden Zahlungspflichten ausgesetzt sieht, weil das Auseinandersetzungsguthaben negativ ist?

Die Entscheidung des EuGH

Auf die erste Frage antwortet der EuGH, dass die Richtlinie auf einen unter den Umständen des Ausgangsverfahrens geschlossenen Vertrag anwendbar ist, der den Beitritt eines Verbrauchers zu einem geschlossenen Immobilienfonds in Form einer Personengesellschaft betrifft, wenn der Zweck eines solchen Beitritts vorrangig nicht darin besteht, Mitglied dieser Gesellschaft zu werden, sondern Kapital anzulegen.

Denn die Richtlinie gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich u. a. für Verträge, die anlässlich eines Besuchs des Gewerbetreibenden beim Verbraucher geschlossen werden, sofern der Besuch nicht auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers erfolgt. Gemäß Art. 2 der Richtlinie fällt unter den Begriff „Gewerbetreibender“ im Sinne der Richtlinie eine natürliche oder juristische Person, die im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, sowie eine Person, die im Namen und für Rechnung eines Gewerbetreibenden handelt. Da der Beklagte die Erklärung seines Beitritts zu dem Immobilienfonds, der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses von der RS GmbH im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit verwaltet wurde, während eines Besuchs in seinem Haus abgab, um den dieser Verbraucher nicht gebeten hatte und der Beitritt gegen Leistung einer Kapitaleinlage von 384 044 DM durch den Beklagten auf ein Bankkonto der genannten Gesellschaft erfolgte, ist der Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnet. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der Zweck des Immobilienfonds in der Instandsetzung, Modernisierung und Verwaltung eines Grundstücks bestehe. Der Beitritt zu diesem Fonds sei auch nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie nicht vom Anwendungsbereich ausgeschlossen, der Verträge über „andere Rechte an Immobilien“ dem Anwendungsbereich der Richtlinie entzieht. Ausnahmen von unionsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften sind nach ständiger Rechtsprechung eng auszulegen. Deshalb genüge es, dass der von dem Beklagten unterzeichnete Vertrag nicht irgendwelche Rechte an einer Immobilie betrifft, die Gegenstand der in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie vorgesehenen Ausnahme sind, sondern ausschließlich den Beitritt zu einem Immobilienfonds mittels des Erwerbs von Beteiligungen an einer Personengesellschaft gegen Leistung einer Kapitaleinlage.

Die zweite Frage beantwortet der EuGH, dass Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie unter den Umständen des Ausgangsverfahrens einer nationalen richterrechtlichen Regel nicht entgegensteht, die besagt, dass im Falle des Widerrufs eines in einer Haustürsituation erklärten Beitritts zu einem geschlossenen Immobilienfonds in Form einer Personengesellschaft der Verbraucher gegen diese Gesellschaft einen Anspruch auf sein Auseinandersetzungsguthaben geltend machen kann, der nach dem Wert seines Anteils im Zeitpunkt des Ausscheidens aus diesem Fonds berechnet wird, und dass er dementsprechend möglicherweise weniger als den Wert seiner Einlage zurückerhält oder sich an den Verlusten des Fonds beteiligen muss.

In welchem Maße eine nationale richterrechtliche Regel die Rechtsfolgen begrenzen kann, die sich aus der Ausübung des in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Widerrufsrechts ergeben, ist auf Art. 7 der Richtlinie hinzuweisen, wonach sich die Rechtsfolgen der Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher nach einzelstaatlichem Recht regeln. Auch wenn für die Folgen eines Widerrufs somit nationales Recht gilt, müssen die Mitgliedstaaten ihre Befugnis in diesem Bereich gleichwohl unter Beachtung des Unionsrechts und insbesondere der Vorschriften der Richtlinie ausüben, die im Licht der Zielsetzung der Richtlinie und in einer Art und Weise auszulegen sind, dass ihre praktische Wirksamkeit gewährleistet ist. Ebenso müssen die nationalen Gerichte, die mit einem Rechtsstreit unter Einzelnen befasst sind, das gesamte nationale Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auslegen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel vereinbar ist. Zwar diene die Richtlinie zweifelsfrei dem Verbraucherschutz. Doch dies bedeutet nicht, dass dieser Schutz absolut ist, sondern für diesen Schutz gelten bestimmte Grenzen. Hinsichtlich der Folgen der Ausübung des Widerrufsrechts bewirke die Anzeige des Widerrufs sowohl für den Verbraucher als auch für den Gewerbetreibenden eine Wiederherstellung der ursprünglichen Situation. Dennoch schließt es die Richtlinie keineswegs aus, dass der Verbraucher in ganz bestimmten Fällen Verpflichtungen gegenüber dem Gewerbetreibenden haben kann und gegebenenfalls gewisse Folgen tragen muss, die sich aus der Ausübung seines Widerrufsrechts ergeben. Im Lichte dieser Erwägungen steht die Richtlinie einer nationalen Regel bzw. Rechtsprechung nicht entgegen, nach der ein Verbraucher, der seinen Beitritt zu einem geschlossenen Immobilienfonds in Form einer Personengesellschaft widerruft, einen Anspruch gegen diese Gesellschaft hat, der nach dem Wert seines Anteils im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Fonds berechnet wird. Denn diese Regel und Rechtsprechung des BGH soll entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts für einen vernünftigen Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den einzelnen Beteiligten sorgen. Insbesondere ermöglicht es eine solche Regel zum einen dem Verbraucher, der seinen Beitritt zu einem geschlossenen Immobilienfonds in Form einer Personengesellschaft widerruft, seine Anteile zurückzugeben und gleichzeitig einen Teil der Risiken zu übernehmen, die untrennbar mit jeder Kapitalanlage der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art verbunden sind. Zum anderen erlaubt sie es außerdem den Mitgesellschaftern und/oder Drittgläubigern, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht, die finanziellen Folgen des Widerrufs dieses Beitritts tragen zu müssen, der im Übrigen infolge der Unterzeichnung eines Vertrags stattfand, an dem Letztere nicht beteiligt waren.

EuGH Urteil vom 15.04.2010