Beraterpflichten der Banken zu Auswertung der Wirtschaftspresse

2019-04-11T12:57:14+00:007. Oktober 2008|

Der Bundesgerichtshof hat in seiner aktuellen Entscheidung vom 07.10.2008 (XI ZR 89/07) zu dem in der Fachwelt seit Jahren kontrovers diskutierten Thema der Pflicht zur Auswertung der Wirtschaftspresse, insbesondere negativer Presseberichterstattung sowie zu dem Umfang der Plausibilitätsprüfung abschließend Stellung genommen.

In Fortschreibung der grundlegenden Bond-Entscheidung (BGHZ 123, 126, 131) hat der Bankensenat beim BGH entschieden, dass ein Anlageberater, insbesondere eine Bank, die sich in Bezug auf eine bestimmte Anlageentscheidung als kompetent geriert, sich aktuelle Informationen über das Anlageobjekt verschaffen muss, das sie empfehlen will. Dazu gehört auch die Auswertung vorhandener Veröffentlichungen in der Wirtschaftspresse. So habe der Anlageberater beispielsweise zeitnahe und gehäufte negative Berichte in der Börsenzeitung, der Financial Times Deutschland, dem Handelsblatt und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auszuwerten und diese im Rahmen der von ihm geschuldeten Plausibilitätsprüfung zu berücksichtigen. Die Bank könne dabei selbst entscheiden, welche Presseorgane sie auswerte, solange die Informationsgrundlage nur ausreichend breit sei.

Eine Bank ist danach nicht verpflichtet, sämtliche Publikationsorgane vorzuhalten, sondern kann selbst entscheiden, welche Auswahl sie trifft, solange sie nur über ausreichende Informationsquellen verfügt. Allein die Unkenntnis von einem Bericht in einem Brancheninformationsdienst, den die Bank nicht auswertet, stellt daher keine Pflichtverletzung dar.

Wenn die Bank allerdings positive Kenntnis von Negativberichterstattungen habe, müsse sie diese in ihre Produktprüfung einbeziehen, auch wenn die Negativpresse in einem Organ veröffentlicht werde, dass üblicherweise nicht von der Bank ausgewertet wird.

Die Verpflichtung, kritische Berichte in sämtlichen Brancheninformationsdiensten uneingeschränkt zur Kenntnis zu nehmen und die Anleger unabhängig von der Berechtigung der dort geübten Kritik an einem Anlagemodell auf die Existenz solcher Berichte hinzuweisen, würde zu einer uferlosen, kaum erfüllbaren Ausweitung der Pflichten von Anlageberatern führen. Das Anlagerisiko würde dadurch auf den Berater verlagert, was laut BGH nicht gerechtfertigt wäre.

Ferner stellte der BGH fest, dass eine vereinzelt gebliebene Publikation, deren Meinung sich in der Fachöffentlichkeit (noch) nicht durchgesetzt hat, nicht ohne weiteres zu einer Hinweispflicht führt.

Daneben hat der BGH den Umfang der von der Bank geschuldeten Plausibilitätsprüfung erweitert. Er stellte fest, dass eine Bank ihrer Pflicht zur Prüfung der Kapitalanlage aus einem Beratungsvertrag nicht etwa bereits dadurch genügt, dass sie eine „bloße“ Plausibilitätsprüfung des Emissionsprospektes vornimmt. Eine solche Plausibilitätsprüfung könne allenfalls im Rahmen eines reinen Auskunftsvertrages, d.h. der Anlagevermittlung ausreichend sein. Bei einem Beratungsvertrag sei die Bank indes zu mehr als nur einer Plausibilitätsprüfung verpflichtet. Hierzu gehöre eine differenzierte Betrachtung der allgemeinen und speziellen Risiken, die sich aus den individuellen Gegebenheiten des Anlageproduktes ergeben. Der Anlageinteressent könne davon ausgehen, dass seine ihn beratende Bank die von ihr in das Anlageprogramm aufgenommenen Kapitalanlagen selbst als „gut“ befunden habe. Die Bank sei dabei verpflichtet, eine Anlage, die sie empfehlen will, mit „banküblichem kritischen Sachverstand“ zu prüfen. Dies sei mehr als eine reine Plausibilitätsprüfung.

Praxis-Tipp:

Der BGH hat mit seiner Entscheidung die Grundsätze des Bond-Urteils weiter konkretisiert und dabei die allgemein in der Rechtsprechung festzustellende Tendenz, dass zwischen der Anlageberatung durch eine Bank und sonstiger Anlageberatung differenziert wird, bestätigt. Festzustellen ist, dass den Banken regelmäßig umfangreichere Pflichten im Zusammenhang mit der Anlageberatung auferlegt werden, als dies bei sonstigen Beratern der Fall ist. Bestätigt wird mit dem Urteil zudem die übliche Differenzierung zwischen Anlageberatung und Anlagevermittlung.

Nicht nur die beratende Bank sondern auch der Anlageberater wird sich künftig auf breiter Basis aktuelle Informationen über die angebotene Kapitalanlage verschaffen müssen. Unter Umständen wird er für etwaige Informationsdefizite haften. Vor diesem Hintergrund sollte ein Anlageberater seine Informationsbemühungen im Zusammenhang mit konkreten Kapitalanlageprodukten künftig noch sorgfältiger dokumentieren, um zum gegebenen Zeitpunkt einen entsprechenden Nachweis führen zu können.

Das Thema der „Pflichtlektüre“ verschiedener Branchendienste ist jedoch vom Tisch. Es wurden ausdrücklich Brancheninformationsdienste, wie kmi, ähnlich fondstelegramm/Gerlacht Report etc., nicht zur „Pflichtlektüre“ erhoben, wie es Instanzgerichte in der Vergangenheit teilweise getan haben. Ebenso muss der Berater nicht auf jeden negativen Pressebericht zwingend hinweisen. Es muss sich schon um eine fundierte Pressekritik in einer anerkannten Publikation für Wirtschaftsfragen, die über jeden Zweifel erhaben ist, handeln.

Abzuwarten ist, wie die Instanzgerichte die jedoch erweiterten Grundsätze auf sonstige, bankenabhängige Anlageberater übertragen. Bezüglich Umfang der Plausibilitätsprüfung wird die Konkretisierung des bestimmten Rechtsbegriffs „banküblichem kritischen Sachverstand“ für weiteren Zündstoff sorgen.