Das OLG Hamm hat am 04.12.2009 (Az. 20 U 131/09) entschieden, dass einen Versicherungsvertreter keine anlassbezogenen Frage-, und Beratungspflichten treffen, wenn der Kunde einen klar und fest abgegrenzten Wunsch artikuliert. Soweit keine Frage- und Beratungspflicht besteht, trifft den Versicherungsvertreter auch keine Dokumentationspflicht.
Die klagende Kundin und Versicherungsnehmerin begehrte von dem beklagten Versicherungsvertreter Schadensersatz wegen behaupteter Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem Abschluss eines KFZ-Versicherungsvertrages auf der Grundlage der §§ 61, 63 VVG n.F. (§§ 43 c, 43 e VVG a.F.), die mit dem Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechtes eingeführt worden sind.
Zum Sachverhalt:
Die Klägerin war Kundin des Beklagten und nahm über diesen mehrfach Fahrzeugversicherungen (Teil- bzw. Vollkasko) bei der X-Versicherung. Für ein früher gehaltenes Wohnmobil bestand zunächst eine Fahrzeugvollversicherung. Zum 28.02.2006 wurde nur noch eine Fahrzeugteilversicherung unterhalten. Am 04.06.2007 erwarb die Klägerin ein anderes Wohnmobil zu einem Kaufpreis von insgesamt 21.900,00 €. Da auch dieses neu erworbene Fahrzeug über das Büro des Beklagten bei der X versichert werden sollte begab sich die Klägerin am 11.06.2007 in die Geschäftsräume der Beklagten und sprach mit dem Beklagten. Der beklagte Versicherungsvermittler fragte die Klägerin, wie sie das Fahrzeug versichert haben möchte, worauf diese antwortete: „wie bisher“. Es wurde sodann eine Teilkaskoversicherung abgeschlossen und der Klägerin wurde ein Versicherungsschein vom 29.06.2007 übersandt, der „nur“ eine Kfz-Haftpflicht- und eine Teilkaskoversicherung umfasste. Das Wohnmobil erlitt bei einem Unfall am 02.09.2007 einen Schaden, welchen die Klägerin vom Beklagten mit der Begründung ersetzt verlangt, dieser habe es versäumt, auf den notwendigen Abschluss einer Vollkaskoversicherung hinzuweisen.
Zur Entscheidung:
Das OLG wies, nachdem das Landgericht Dortmund die Klage der Kundin in erster Instanz abgewiesen hatte, die Berufung der Klägerin zurück. Denn nach der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage und abschließenden Regelung des § 63 VVG scheide eine Schadenersatzhaftung wegen der Verletzung der aus § 42 c VVG a. F. folgenden Fragepflicht bzw. Beratungspflicht und Dokumentationspflicht (§ 61 VVG n. F.) aus. Denn der Versicherungsvermittler habe – so das OLG – weder die anlassbezogene Fragepflicht noch die darauf aufbauende Beratungspflicht verletzt.
1. Keine Fragepflicht
Zwar müsse der Versicherungsvertreter nach § 61 VVG bei der Vermittlung von Versicherungsschutz den Kunden nach dessen Wünschen und Bedürfnissen befragen. Dies gilt aber nur, wenn und soweit nach der Schwierigkeit der angebotenen Versicherung oder nach der Person oder Situation des Kunden hierfür Anlass besteht. Äußere der Kunde einen klar artikulierten fest abgegrenzten Wunsch, so ist der Vertreter regelmäßig nicht zur Befragung verpflichtet. Zur Durchführung einer Risikoanalyse sei der Vertreter ohnehin nicht verpflichtet. Das OLG verneinte eine Befragungspflicht, da der Versicherungsvertreter die Kundin gefragt hatte, wie das Fahrzeug versichert werden solle, worauf hin die Kundin unstreitig erklärt hatte, das Fahrzeug solle „wie bisher“ versichert werden. Da das „bisherige“ Fahrzeug nur haftpflicht- und teilkaskoversichert war könne diese Äußerung nach Auffassung des Senats nur als klar artikulierter und fest abgegrenzter Wunsch gewertet werden, das neu zu versichernde Fahrzeug ebenso zu versichern, wie das bisherige, also ebenfalls nur in Bezug auf Haftpflicht und Teilkasko, nicht aber Vollkasko.
2. Keine weitergehende Beratungspflicht
Bei einem klar artikulierten und fest abgegrenzten Kundenwunsch besteht nach Ansicht des OLG auch keine weitergehende Beratungspflicht und das Gericht verneinte eine Beratungspflichtverletzung des Vermittlers. Denn zum einen handele es sich bei der Haftpflicht- und Kaskoversicherung um ein Standardprodukt im Massengeschäft mit verhältnismäßig geringer Prämie (vgl. hierzu § 42c Abs. 1 Satz 2 VVG a. F.). Zum anderen bestand überhaupt kein Beratungsbedarf, die Unterschiede zwischen Teil- und Vollkasko aufzuzeigen, da diese der Kundin bereits bekannt waren. Denn diese hatte die Vollkaskoversicherung für das „alte“ Wohnmobil 1 Jahr zuvor gekündigt und das Fahrzeug nur noch teilversichert, wobei sie als Grund für diesen Schritt angab, dass „überlegt worden sei, ob aufgrund des Wertes des Wohnmobils noch sinnvoll ist, den Wagen Vollkasko zu versichern“. Bei Würdigung der Gesamtumstände sei nicht ersichtlich, in welche Richtung der Beklagte die Klägerin noch hätte beraten sollen und müssen.
3. Umfang und Funktion der Dokumentationspflicht
Auch bei einer unterstellten Verletzung der Dokumentationspflicht wäre der Versicherungsvertreter nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Zum einen soll die Dokumentation lediglich Beweis für den Umfang der Befragung und Beratung erbringen und die Verletzung der Dokumentationspflicht soll zu einer Beweiserleichterung führen. Demzufolge kann die Verletzung der Dokumentationspflicht im Regelfall nur dann zu einem Schadensersatzanspruch führen, wenn dem Versicherungsnehmer ein Beweisnachteil entsteht. Da aufgrund des klar artikulierten und fest abgegrenzten Kundenwunsches weder eine Befragungs- noch eine Beratungspflicht bestanden, gab es nach Ansicht des OLG nichts zu dokumentieren. Der Versicherungsvertreter hätte allenfalls nur dokumentieren müssen, dass keine Befragung und Beratung erfolgt war. Dieser Umstand war aber zwischen den Parteien unstreitig und konnte nicht zu einem Beweisnachteil und damit nicht zu einem kausalen Schaden führen.
4. Kausalität zwischen Dokumentationspflichtverletzung und Schaden
Der Argumentation der Klägerin, wonach sie bei Aushändigung der Dokumentation sofort bemerkt hätte, dass der Wagen nur teilkasko- und nicht vollkaskoversichert werden sollte und sie dann aber sofort reagiert und auf Vollkaskoschutz gedrängt hätte, erteilt das Oberlandesgericht eine Absage. Denn die Klägerin hatte selbst dann nicht reagiert, als sie den Versicherungsschein erhielt, aus dem unmissverständlich hervorging, dass das Wohnmobil nur teilversichert war. Nach Ansicht des OLG zeigt dies, dass die Kundin auch dann nicht auf den Abschluss einer Vollkaskoversicherung gedrängt hätte, wenn ihr eine Dokumentation ausgehändigt worden wäre.